Ein Musikalbum vom Anfang bis zum Ende genießen

Ein Musikalbum vom Anfang bis zum Ende genießen 1024 683 Dirk Zupancic

Seitdem Streamingdienste, wie Spotify, Amazon oder ITunes Music, die so genannten Playlists erfunden haben, höre ich eigentlich keine Alben mehr. Dieses Phänomen begann eigentlich schon mit der CD, bei der man ungeliebte Songs mit einem Tastendruck überspringen konnte.  Welch ein einfacher Weg des selektiven Hörgenusses im Vergleich zum Plattenspieler, bei dem man mühsam und manuell die nächste Rillenfolge anwählen musste. Oder zum Tapedeck, bei dem man durch Vorspulen hoffentlich die Lücke zum nächsten Song erwischte. Aber zumeist liefen die Langspielplatten („LPs“, wer erinnert sich noch?)  mehrheitlich durch und wurden brav von Seite A zu B gehört. Das macht man heute nicht mehr. Ich zumindest nicht und das bedaure ich bisweilen, aber dazu später mehr.

Ich denke, dass auch die Künstler sich dieser Thematik gestellt haben. Vermutlich ist ihre Arbeit leichter geworden. Nach meiner Beobachtung war es doch sehr anspruchsvoll, ein durchweg gutes, neues Album zu produzieren. Ein gutes Album besteht nämlich nicht nur aus einer Reihe von (hoffentlich guten) Songs, sondern bedarf daneben einer gewissen Dramaturgie durch das ganze Album hinweg. Wenn das gelingt, ist der Genuss eines Albums etwas ganz Besonderes. Es fesselt Dich nicht mal eben zwischendurch, sondern man hört ein Album, wenn man sich die Zeit nimmt, ganz.

Ich erinnere mich an einige tolle Alben. Zumeist aus den 80ern, als ich bewusster Musik hörte und die CD erst langsam aufkam: Zu meinen Favoriten gehörten und gehören z.B. Phil Collins‘ „But Seriously“, Pete Townsend‘s „White City“, „Diamond Life“ von der wunderbaren Sade, „Rio“ von Duran Duran, Toto‘s „IV“ und einige andere. Die Liste ließe sich spielend verlängern. Was macht den Reiz eines solchen Albums aus? Versuchen wir es mit einem Beispiel: „But Seriously“ (also „… Aber mal im Ernst“) von Phil Collins aus dem Jahr 1989.

Collins arbeitete insgesamt anderthalb Jahre an diesem „seriösen“ Musikmaterial. Der Künstler behandelt Themen wie Obdachlosigkeit und Kriegsszenarien sowie sozialökonomische und politische Probleme. Das Album besteht in der CD Version aus 12 als klassische LP aus 10 Titeln. Und das sind sie …

Hang In Long Enougheröffnet das Album mit Bläsersätzen, treibenden Beats, und trockenen Drums, die Collins auf seinem Set einspielte, was an seinem typischen Drumsound sofort erkennbar ist. That’s Just the Way It Issenkt die Stimmung mit sphärische Keyboard Sounds, die voluminös daherkommen und Phil‘s welche Stimme untermalen. Ein markanter, weicher Drumcomputer setzt die Beats. Laut eigenen Angaben schrieb Collins das Lied, nachdem er einen Antikriegsfilm gesehen hatte, um sich mit den Gefühlen und Gedanken der Soldaten im Krieg auseinander auseinanderzusetzen. Do You Remember? wird von einem Drumcomputer und leichte Gitarre geprägt. Something Happened on the Way to Heaven wurde ursprünglich als Schlusslied für den Kinofilm „Der Rosenkrieg“ mit Michael Douglas, Kathleen Turner und Danny DeVito geschrieben. Das Stück wurde von den Filmproduzenten jedoch abgelehnt und erschien damit unplanmäßig auf diesem Album statt auf dem Soundtrack des Films. Dies ist der einzige Song des Albums, der in Zusammenarbeit mit Daryl Stuermer entstand. Eine knallige Snare Drum, treibende Bläsersätze, Naturdrums mit Phil-Collins-Sound und ein markanter Background Chor machten den Song bekannt. Colours wird getragen von Keyboardklänge und Phil‘s langsamer nachdenklich, melancholischer Stimme. Colours ist ein politisches Lied, das sich mit der Apartheid in Südafrika auseinandersetzt. I Wish It Would Rain Down gilt als der melancholischste Song von Collins. Eric Claptons Gitarre ist für Kenner leicht zu erkennen und passt wunderbar zu dem Song, der zusätzlich durch einen Gospel Chor geprägt wird. Another Day in Paradise wurde als Single ein Welthit. Die markante Intro-Gitarre, die entfernt klingenden Drumbeats, die bekannte Keyboardmelodie machen den Song sofort erkennbar. Er wurde von Phil Collins und Hugh Padgham geschrieben, um auf das Problem der Obdachlosigkeit, besonders in den USA, aufmerksam zu machen. Heat on the Streetist ein grooviger Song mit treibenden Beats. Das Lied handelt von den Problemen von Straßenkindern. All of My Life wird von einem wunderschönes Saxophon Intro gestartet. Bei All of My Life und später Father to Son handelt es sich um zwei sehr persönliche Lieder des Künstlers. All of My Life behandelt das Verhältnis zu seinem verstorbenen Vater und dem Gefühl, erst danach erkannt zu haben, dass er nicht genug Zeit mit ihm verbracht hat. Father to Son schrieb Collins für seinen Sohn Simon, es enthält zahlreiche Ratschläge, die er seinem Sohn auf den Weg geben möchte. Er wird getragen von dem bekannten weichen Grundbeat des Drumcomputers. Find a Way to My Heart lebt von motorischen Key Account Klängen und wird geprägt durch dumpfe Schläge, natürlicher Drums, Bläser und wechselnde langsame und schnelle Passagen. Es bildet einen fröhlichen Abschluss des Albums.

Ich genoss solche Alben mit dem Booklet und las Hintergründe zu Songs und Musikern. Es tut gut sich an diese Zeiten zurückzuerinnern und daran anzuknüpfen. So wird Musikhören wieder zu einem besonderen Genuss.

Credits: Kuo Chiao Lin, Adrian Korte on Unsplash

Hinterlasse eine Antwort

Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.