Herrenglück: Beim Barbier

Herrenglück: Beim Barbier 1024 682 Dirk Zupancic

Vielleicht eines der wenigen Gebiete, in der heute die Quotendebatte nun wirklich keinen Sinn macht: Der Bartwuchs. Kleiner Scherz! Faszinierend für mich ist aber die aktuelle Wiederentdeckung der Bartmode. Damit meine ich nicht die Gesichtsbehaarung eines Martin Schulz (meine Güte!), sondern die unterschiedlichen Stile sehr gepflegter Bärte bei Männern mit einer wirklich interessanten Ausstrahlung. Hätte ich nie gedacht. Nach meiner Beobachtung führte dies parallel zu einer Wiederentdeckung bzw. -erstarkung klassischer Barbiere, Barbershops und einer ungeahnten Vielfalt von Bartpflegeprodukten. Alles kommt irgendwann mal wieder …

Das Beste an dieser Entwicklung aber sind für mich die Barbershops. Früher musste man in unseren Breitengeraden einen guten türkischen Friseur ausfindig machen. Und das meine ich voller Wertschätzung für diejenigen, die das Handwerk des Rasierens schon lange beherrschen.  Heute gibt es in jeder großen Stadt Barbershops im Stile traditioneller Gentlemen Clubs. Nur eben zum Frisieren und Rasieren.

Ein echtes Glück für mich ist der Besuch an einem Nachmittag. Dann nämlich, wenn ein anstrengender Morgen und ein ebensolcher Mittag bereits hinter mir liegen und ich ohne groß nachzudenken, einen ersten Drink wagen kann. Das ist einer der Annehmlichkeiten an den neuen und wiedererstarkten Shops, die sich auf die Herren spezialisieren: Männerdrinks gehören dazu, wie das Schneiden, Rasieren, Pflegen. Kein Sekt, Prosecco oder Champagner, sondern Whisky, Rum, Gin u.a.

Ankommen, ablegen, einen Drink genießen, runter kommen, in ein ledernes Sofa sinken, die Atmosphäre wirken lassen, chillige Musik hören, die Düfte einatmen, beobachten und sich bereit machen. Bereit, um selbst an die Reihe zu kommen und vom Barbier seines Vertrauens zu seinem Platz geführt zu werden…

Man nimmt in einem bequemen Stuhl Platz (und fragt sich manchmal, warum normale Frisöre diese Modelle nicht haben) und lehnt sich entspannt zurück. Der Kopf sinkt auf ein Polster, ohne nach hinten wegzuklappen. Warme, feuchte Tücher bedecken das Gesicht und weichen die Bartstoppeln sanft auf.  Anschließend wird man professionell „eingeseift“. Mit einem Dachshaarpinsel verteilt der Barbier den samtigen, festen Schaum auf Gesicht und Hals. Dann kommt das Ritual der Rasur – natürlich mit einem echten Rasiermesser. Es bleibt mir ein Rätsel, wie man mit dieser extrem scharfen Klinge so sanft über das Gesicht fahren kann und wie dabei diese einmalig glatte Haut zurück bleibt. Ich denke, da könnte Gillette noch so viel Klingen an den Standardnassrasierer montieren. Das Messer ist unerreicht. Und es gibt den Barbier, der damit an Deinem Hals hantiert und damit eine echte Art von Macht hat. Quasi eine Macht über Leben und Tod. Aber, man fühlt eigentlich eher, wie das Vertrauen in die Handwerkskunst wirkt. Nach der Rasur folgt das Abtrocken, eher ein Abtupfen. In einer kurzen Duftdegustation fällt die Wahl auf ein Rasierwasser. Vom Barbier aufgetragen und mit sanftem Klopfen auf Bartpartie und Hals verteilt, erzeugt es zunächst ein kurzes, nicht unangenehmes Brennen und dann eine einmalige Frische. Zuletzt eine finale Pflege. Ein unbeschreibliches Vergnügen.

Mit etwas Glück ist der Barbier oder sind die anderen Gäste auch gute Gesprächspartner. Wo sonst lässt es sich so ungeniert klönen, lästern oder philosophieren? Aber ich persönlich genieße auch die Ruhe, nichts sagen zu müssen. Beides geht und beides hat seinen Reiz.

Im Idealfall bleibt noch Zeit für einen zweiten Drink, bevor man sich hoffentlich mit einem echten Freund, einer schönen Dame oder einem interessanten Menschen zu einem guten Essen trifft. Herrenglück …

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